Ey Katja, bist du in Georgien eigentlich nur am feiern oder arbeitest du auch mal?

Hm ja, diese Frage wurde mir jetzt schon von einigen Leuten gestellt. Die Antwort ist ja, ich arbeite "auch mal". Und das obwohl ich auch sehr gerne etwas unternehme, verreise und feiere. Um das ein bisschen zu verdeutlichen, versuche ich in diesem Eintrag auf beides gleichermaßen einzugehen. Und da schon wieder fast sechs Wochen seit meinem letzten Blogpost vergangen sind, wird dieser Eintrag wahrscheinlich etwas länger. Um an den letzten Beitrag anzuschließen: Was ist aus meinem "Einlebemonat geworden"?



Besuch aus Deutschland 


Europe Square 
Das klingt jetzt natürlich nicht nach wirklichem Einleben. Ende Oktober habe ich Besuch von meinem besten Freund bekommen, ein langes Wochenende in Batumi und Kutaisi. Als feststand, wann Niclas kommen würde, habe ich mir eine kleine Deadline gesetzt. Ich wollte unbedingt mit einigen Sprachkenntnissen beeindrucken, viel zeigen und erklären können und die "Quasi-Einheimische" spielen. Natürlich hat das alles nicht so geklappt wie ich es mir vorgestellt hatte. Dennoch war der Besuch nicht nur für die Tage schön, sondern hat mir auch im Nachhinein sehr viel gebracht. Ich war tatsächlich überrascht, wie sehr ich mich schon an einiges gewöhnt habe. Als Niclas wieder in Deutschland angekommen war, rief er mich an und sagte wie verrückt es wäre, für vier Stunden in ein Flugzeug zu steigen und dann wieder einer komplett anderen Welt zu sein. Seine Faszination für all die neuen Erfahrungen hat mir noch einmal vor Augen geführt, dass ich wirklich Glück habe, ein Jahr in diesem Land verbringen zu können und mir noch einmal einen Schwung Motivation gegeben. 
Botanischer Garten Batumi mit Blick
auf das schwarze Meer 
Aber zurück zum Anfang des Wochenendes. 
Wir starteten unseren Trip vom Flughafen Kutaisi aus nach Batumi. Batumi kann man sich um diese Jahreszeit in etwa vorstellen wie den Moviepark Germany an einem verregneten Schultag. Eine kleine Geisterstadt mit Gebäuden wie aus Tim Burtons "Alice im Wunderland". 

Es war definitiv schön, ein bisschen von der Kultur zeigen zu können (insbesondere das wundervolle Essen und den Wein). Aber ich hatte auch das Gefühl, dass alles was ich bisher berichtet hatte, viel besser nachvollzogen werden konnte. Besonders gut ging das auf unserem Weg von Batumi nach Kutaisi. Niclas hat mir von meinen Eltern einen Koffer mitgebracht, den ich vor Kutaisi noch in meine Wohnung bringen wollte. Kurz eingeschoben: Ich habe mich unglaublich über den Koffer gefreut (Tütensuppen von Knorr, Lichterketten, Kuschelsocken, feinste Öle und natürlich allerhand Nivea Zeug - ein Traum!). An dieser Stelle auch danke an Antonia.. für ihren Beschützerinstinkt 😃
Auch wenn ich mit Niclas nur kurz in Ozurgeti war, es war schön jemandem einen wirklichen Einblick in meine Zeit hier geben zu können. 

In Kutaisi haben wir dann aufgrund grauenvollen Wetters nicht unheimlich viel machen können, waren jedoch im Prometheus Cave, einer 1400 Meter langen Tropfsteinhöhle. Allerdings hat man auch dort gemerkt, dass die Touristensaison vorbei ist. 

Am Ausgang warteten wir vergeblich auf eine Marshrutka und beschlossen dann, erst einmal loszulaufen. Okay, ich beschloss dann erst einmal zu laufen. In eisiger Kälte und begleitet durch Nieselregen machten wir uns auf den Weg und begegneten in der nächsten halben Stunde auch immerhin nur einem Auto. Per Anhalter zu fahren ist in Georgien keine Seltenheit, weshalb bereits das zweite Auto (nach vierzig Minuten) anhielt und der Fahrer fragte, ob er uns mitnehmen soll. Mein Georgisch hat immerhin dafür ausgereicht, zu erkennen, dass er nicht in die Stadt, sondern in ein kleines Dorf nahe der Höhle unterwegs war. Gegen einen kleinen Obolus würde er uns aber auch in die Stadt fahren. Das Angebot nahmen wir dankend an und hatten daraufhin eine wundervolle kulturelle Erfahrung. Während der gesamten Autofahrt sprach ich mit dem Fahrer auf Georgisch, übersetzte fleißig und fühlte mich kurzzeitig fast wie ein Pro. Irgendwann im Laufe der Unterhaltung erzählte ich, wie sehr ich den Rotwein Georgiens schätze, woraufhin wir direkt eine Einladung erhielten. Auch wenn ich diese Einladung gar nicht wirklich als solche verstand, befanden wir uns zehn Minuten später in seinem Garten bei einem Glas Rotwein, Käse und Brot und tranken auf die deutsch-georgische Freundschaft. Momente, die mich glücklich machen und zeigen, dass man Fremden, oder wie man in Georgien sagt - Gästen - definitiv mit mehr Vertrauen und Freundlichkeit gegenüber tritt, aber auch die eigene Privatsphäre einen nicht so hohen Stellenwert einnimmt wie in Deutschland. Mit einer Flasche frisch abgefüllten Weines und einer Tasche voll Mandarinen sind wir dann wieder zurück in die Stadt gefahren. 

Zurück in Ozurgeti 


Wie in meinem letzten Eintrag ja schon angekündigt, stand für mich der November im Zeichen des Einlebens. Ich war in den ersten Monaten viel unterwegs und hatte daher das Gefühl, immer noch nicht wirklich angekommen zu sein. Bis heute hat sich da auf jeden Fall einiges getan.
Ich habe viel Zeit mit der ehemaligen Brot für die Welt Freiwilligen Jule gemacht und dadurch wiederum viele neue Menschen kennen gelernt. Ich war auf meiner ersten Supra und ja, ich hab meine Fähigkeiten im Trinken des selbstgebrannten Wodkas (Chacha) hier  ein klein wenig überschätzt. Dennoch war es für mich ein sehr schöner Abend, es wurde gesungen, gegessen, getrunken und gelacht. Mit anderen Freiwilligen aus den USA, Portugal und Ungarn gab es außerdem ein mexikanisches Thanksgiving Essen - ebenfalls eine sehr coole Erfahrung.

 Um jetzt aber nicht nur auf meine Freizeitaktivitäten einzugehen, möchte ich ein bisschen mehr zu dem erzählen, was ich hier im Büro mache.
Nachdem ich den Antrag für den Fachkräfteaustausch abgeschickt hatte, habe ich mich einem neuen Projekt gewidmet: LEGO Education für Kinder und Jugendliche in Gurien. Auch dort musste ich eine Projektskizze und einen vorläufigen Kostenplan anfertigen und habe beides dann an mögliche Geldgeber geschickt. Die Bearbeitung von Anträgen kann bisweilen etwa drei Monate dauern. Auch wenn es nicht immer einfach ist, Arbeit zu investieren ohne eine direkte Antwort bzw. Ertrag sehen zu können, meine NGO Arbeit in Deutschland hat mir schon gezeigt, dass das Beantragen von Projekten teilweise auch einfacher Überlebenskampf ist. Jetzt sitze ich gerade an einem sehr großen Projekt, das Entrepreneurship (Unternehmertum) in den Regionen Gurien und Adscharien fördern soll.

Entrepreneurship Project 


Die Young Pedagogues Union unterstützt in einem laufenden Projekt, das auch von Brot für die Welt unterstützt wird, Bildungs- und Integrationsarbeit für Menschen in fünf Dörfern. Beide Regionen weisen durch ihre Nähe zur Türkei einen recht hohen Anteil an Muslimen auf (etwa 11% in Gurien und knapp 40% in Adscharien). Eine Studie meiner Organisation hat gezeigt, dass viele der muslimischen Jugendlichen zwischen 8 und 12 Jahren neben der Schule in die Türkei fahren, um dort zu arbeiten. Um die Familien zuhause finanziell zu unterstützen und auch Geld beiseite legen zu können, arbeiten die Kinder und Jugendlichen etwa 8-12 Stunden täglich. Der Grenzübergang findet dabei meistens alleine und ohne Papiere statt, viele erleben Diskriminierung und Gewalt. Als Grund nannten die Jugendlichen den schlechten sozioökonomischen Status in den Dörfern. Der Umgang mit Minderheiten ist auch in der Schule schwierig, Lehrer vermitteln weiter Stereotype und behindern damit die Integration in die Gesellschaft. Das laufende Projekt hat zum Ziel, Aufklärungs- und Bildungsarbeit in den Gebieten voranzutreiben. Durch die Arbeit mit verschiedenen Zielgruppen (Lehrern, Eltern, Schuladministration, Jugendliche) werden demokratische Werte vermittelt und die Integration der religiösen Minderheiten verbessert.
Das Projekt, das mir anvertraut wurde, schließt an diese Thematik an. Denn auch wenn die Integration verbessert wird, das Problem des schlechten sozioökonomischen Status bleibt bestehen. Zwar wurden in Zusammenarbeit mit der georgischen Regierung auch die Grenzkontrollen verschärft, Jugendliche die Papiere besitzen, gehen jedoch weiterhin unter schlechten Bedingungen in der Türkei arbeiten. Mithilfe der Entwicklung von Entrepreneurship soll die Lebenssituation in den Dörfern verbessert und auch die Integration gefördert werden. Ich bin also derzeit damit beschäftigt, einen vorläufigen Projektplan zu verfassen und der Idee Rahmen  und Struktur zu verleihen. Expertengespräche mit Unternehmern, eine Entrepreneurship Klasse in der Schule für ältere Jugendliche, ein Seminar für Interessierte zum Thema Projektentwicklung und Selbstständigkeit und die Ausarbeitung verschiedener Unternehmensideen angepasst an die Menschen und ihre Umgebung müssen in einem Projektplan so verpackt werden, dass wir eine finanzielle Förderung bekommen. Diese Aufgabe ist für mich eine Herausforderung, insbesondere weil Georgier alles andere sind als Organisationstalente und In-die-Zukunft-Planer. Der Anreiz jedoch, in einer gewissen Art und Weise meinen Fußabdruck durch so ein Projekt zu hinterlassen, ist groß.
Die Projektarbeit nimmt einen großen Bereich meines Arbeitslebens ein. Dennoch tut es sehr gut, zeitweise mal aus dem Büro rauszukommen, kleine Veranstaltungen zu besuchen oder in der Leadership school aktiver zu sein.
Am "International Day for Tolerance" habe ich mit Jule zum Beispiel ein Video gemacht, in dem wir deutsche und georgische Stereotype aufgegriffen haben, um zu zeigen, dass kleine kulturbedingte Eigenarten keinen Einfluss auf die Beziehung zwischen verschiedenen Nationalitäten haben (müssen). Insbesondere Stereotype zu bestimmten Nationen oder auch beim Thema Gender sind in Georgien noch weit verbreitet. Ich hätte das Video gerne hochgeladen, allerdings ist sowohl die Datei zu groß, als auch das Video komplett auf Georgisch (ja, ich bin schon ein bisschen stolz).
In zwei Tagen habe ich dann mein erstes Training in der Leadership school der Organisation zum Thema "Gewalt". Das werde ich erstmal noch mit meiner Mentorin zusammen machen, die auch Deutsch spricht. Es wird also ein wilder Mix aus Deutsch und Georgisch, aber ich freue mich darauf, ein bisschen Abwechslung zur Büroarbeit zu haben.
Gestern waren wir außerdem in Mingrelien (nördlich von Gurien) und haben eine Winzerin besucht. Sie möchte die alte Tradition der Weinherstellung wieder fördern und hat uns einen Einblick gewährt.


Tbilisi ... Echt jetzt, schon wieder? 


Ich komme einfach nicht von dieser Stadt los. Eigentlich kann ich mittlerweile auch gar nicht mehr viel zu dem ergänzen, was ich bereits erzählt habe. Ich habe tatsächlich, Überraschung, einige Zeit in verschiedenen Bars verbracht und Menschen aus aller Welt kennen gelernt. Es ist einfach immer wieder ein Vergnügen für mich, Großstadtfeeling zu erhaschen. Und natürlich den ersten Glühwein zu trinken! ♥






















Dezember 

Nun ist also irgendwie schon Dezember. Auch wenn der erste Advent oder die Vorweihnachtszeit an sich keine wirkliche Bedeutung für mich hat, den Dortmunder Weihnachtsmarkt vermisse ich schon. In Tbilisi kann man zwar bereits erahnen, dass alles schön geschmückt wird, in Ozurgeti hingegen ist noch alles beim alten. Es gab vor etwa 10 Tagen zwar schon den ersten Schneefall, heute konnte ich allerdings quasi wieder im T-Shirt bei 20 Grad und Sonnenschein zur Arbeit laufen. Ein bisschen verrückt die Dinge hier. Ich genieße es jedenfalls und freue mich mein Jahr 2017 in Georgien ausklingen lassen zu dürfen.


Süße Grüße,

Katja


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