Wahrnehmung // Perception

Es ist etwa zwei Uhr morgens. Bei immer noch gefühlten 25 Grad Celsius weht mir leichter Sommerregen ins Gesicht während ich auf dem Bug eines Bootes stehe, in der einen Hand einen Becher mit Rotwein, den anderen Arm um Leonie gelegt. Im Hintergrund laufen Klassiker von Elvis, Bob Dylan und den Rolling Stones. Die eigentliche halbe Stunde Bootsrundfahrt, die wir drei für umgerechnet 7 Euro pro Person inklusive einer Flasche Wein herausgehandelt hatten, ist schon um einige Zeit überschritten aber solange unsere männliche Begleitung den Fahrer weiterhin beschäftigt, scheint die Fahrt noch für einige Zeit weiterzugehen. Auch wenn ich weiß, dass der Moment irgendwann enden muss oder vielleicht eben genau deswegen, versuche ich alles in mich aufzunehmen - die Lichter der Hauptstadt, die Musik, den georgischen Wein und die letzten elf Monate, die hinter mir liegen. Das mag alles sehr romantisch klingen und ganz ehrlich, das war es auch. Noch schöner war es, das Gefühl mit jemandem teilen zu können, der dieselbe Erfahrung gemacht hat und von dem ich wusste, dass das letzte Jahr ohne sie definitiv härter gewesen wäre. 


It's about two o'clock in the morning. A little summer rain is blowing into my face while I'm standing on the bow of a boat with a cup of wine in my one hand, my other arm lies on Leonie's shoulders. My body and my heart feel warmed by the ambient temperature, the wine and some classics of Elvis, Bob Dylan and the Rolling Stones playing in the background. The actual half an hour boat trip that we got for about 7 Euros per person (with a bottle of wine included of course) has already been over for some time but it seems like it's going to continue as long as our male company keeps the driver busy. And even though I know that the moment has to end at some point over maybe not even though but because I know it, I'm trying to soak everything in - the lights of the capital, the music, the wine and the past eleven months in this country. 
I know that all this sounds pretty romantic and to be honest, that's what it was. I was even more grateful to share this moment with someone, who has an idea of what's on my mind as we've started that adventure together and I know that the year would have been completely different and probably way harder for me without her. 

Das war einer dieser Momente, in denen ich das Gefühl hatte, meine Wahrnehmung ganz bewusst lenken zu können. Mich nur auf die Dinge konzentrieren zu können, die mir wichtig sind und alles andere nicht unterbewusst aber gezielt auszublenden; mich auf das Positive zu fokussieren und dieses Gefühl von Glück, das man in wenigen Situationen im ganzen Körper spüren kann, zu genießen.
In den letzten elf Monaten hier hat sich meine Wahrnehmung in vielerlei Hinsicht verändert. Ich nehme Menschen um mich herum anders war, meine Familie und Freunde in Deutschland, ebenso wie fremde Personen, andere Kulturen und Nationalitäten. Ich nehme Lebenssituationen anders wahr, versuche mich nicht auf den Lebensplan zu versteifen, mit dem ich aufgewachsen bin. Ich nehme mehr Möglichkeiten wahr, mein Leben zu gestalten, Risiken einzugehen und jede Erfahrung, die ich mache, als wertvoll anzusehen oder zumindest sagen zu können, dass es mir das wert war - wie z.B. während des grausigen Katers am Morgen nach der Bootstour. 


Mtatsminda Park 
It was one of those moments in which I get the feeling to be able to control my perception deliberately and to only concentrate on things that are important to me so that I can disregard everything else not subconciously but conciously. In those moments I'm able to focus on all the positive things in my life and to enjoy the special feeling of happiness from head to toe that you don't get too often. During the last eleven months my perception has changed in many ways. I perceive people around me differently, same with my family and friends in Germany or strangers, new cultures and nationalities. I perceive my situation in life differently, trying not to harden on the common life plan with which I grew up. I perceive more opportunities to shape my future, take gambles and be grateful for every experience that I've made so far or at least being able to say that it was worth it - for example during the bad hangover the morning after the boat trip. 




Es ist eine Art Wechselwirkung. Eine Veränderung des Blickwinkels, mag sie nun gezwungen oder ungezwungen stattfinden, führt zu einer Veränderung der Wahrnehmung. Eine Veränderung der Wahrnehmung hat eine Veränderung des Blickwinkels zur Folge.  
Unsere Wahrnehmung ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig, dem persönlichen Interesse, Erfahrungen und Erwartungen oder Schutzmechanismen, wie Verdrängung. Auch der Kontext spielt eine Rolle. Sehen wir ein Plakat mit einem hungernden Kind in Afrika, sehen wir es beinahe schon als "normal" an und können es schnell verarbeiten. Wäre dort ein hungerndes Kind vor dem Brandenburger Tor abgebildet, würde es unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ebenso wie eine Horde Bauarbeiterinnen am Straßenrand, eine Grundschule voll männlicher Fachkräfte oder Bescheidenheit im Vatikan. 
Je mehr Erfahrungen man sammelt, die einen aus der eigenen Komfortzone locken, desto mehr Vergleiche lassen sich ziehen, desto mehr lässt sich wahrnehmen. 

It's kind of an interaction. Changing your perspective, if it's forced or unforced, leads you to a change of perception. Same the other way around - changing your perception causes a change of perspective. 
Our perception depends on many different factors, on our personal interest, experiences and expectations or defensive mechanisms like repression. The context is also important - if we look at a huge poster of a starving child living in West Africa, we kind of contemplate it as "normal" and our mind can process the information faster. If it was a poster of a starving 
child in front of the Brandenburg Gate in Berlin, it would attract our attention more. Same with a bunch of female construction workers at the roadside, a primary school full of male teachers or modesty in the Vatican. 
The more experiences we make that get us out of our comfort zone, the more comparisons we have and the more we will perceive. 

Während meines Studiums hat sich mein Blickwinkel definitiv erweitert, mein Jahr in Georgien hat meine Perspektive zeitweise komplett geändert. Das lag nicht nur am Land an sich, den Eindrücken durch Kultur und Menschen, sondern insbesondere an neuen Bekannt- und Freundschaften, meiner Arbeit hier und den Gedanken zu meiner Zukunft. Die Veränderung des Blickwinkels hat für eine Veränderung der Wahrnehmung gesorgt, in den letzten Monaten hier vor allem der Selbstwahrnehmung, wie sich vielleicht aus meinen vorherigen Blogeinträgen ablesen lässt. Für meine Zukunft wünsche ich mir mehr solcher Augenblicke, wie den auf der nächtlichen Bootstour. Momente, in denen man Glück wirklich fühlen kann. Ich will spontan sein, Chancen nutzen und mich auf das Positive konzentrieren, denn Wahrnehmung lässt sich beeinflussen. Und je mehr ich versuche, meine Wahrnehmung zu erweitern, desto mehr Raum ist da um immer wieder ein neues Stück Glück zu finden.  


Tbilisi Open Air Festival
My time at university has already broaden my perspective, my time in Georgia has changed it completely at times. It is not only about the country itself, the impressions of culture and people, but in particular about new acquaintances and friendships, my work and thoughts regarding my future. The change of perspective lead to a change of perception, within the last months especially of my self-perception as I guess can be seen in my previous blog posts. With regard to my future I wish to have more of those moments like on the nightly boat tour, moments in which one can really feel happiness. I want to be spontaneous, I want to take chances and risks and I'll try to always focus on the positive things as perception can be influenced, if it's by changing or broadening your perspective, interest or priorities. The more I'll try it the more chances and scope I'll get to find some more happiness again and again. 









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